Bauletter, BAULINKS.de-Meldungen, vom 21.08.2023

Editorial: Zuviel des Guten?

Braucht Deutschland eine „Sofort-Amnestie bei Klimaschutzauflagen“ für den Neubau? Das fordert jedenfalls der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) in einer Pressemitteilung vom 15. August. Brachiale Worte und zudem völlig daneben gegriffen, denn um Amnestie gewähren zu können, bedarf es zunächst eines Strafvergehens, um dann Straferlass oder Strafmilderung zu gewähren. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass die Ampel beziehungsweise die Vorgängerregierung, die ja das Gebäudeenergiegesetz (GEG) beschlossen, zu verantworten und in ein Gesetz geformt hat, dafür gerichtlich belangt wurde. Und das emotional so heiß diskutierte Heizungsgesetz ist noch nicht einmal „als Straftat“ verabschiedet. Also ist die Forderung in ihrer Sinnhaftigkeit schon einmal ziemlich daneben.

Der BDB stellt sich in seinem Statement jedenfalls vor die Baubranche und mahnt, dass SPD und FDP den „grünen Träumen“ ein Ende setzen sollten. In ihrer Optik mit roten Lettern erinnert die Pressmeldung an übergroße Schlagzeilen einer deutschen Boulevardzeitung, die stets versucht ist, damit auf den springernden Punkt zu kommen. Hauptsache ´ne Aufmerksamkeit erheischende Schlagzeile, gefolgt von emotionalen Sätzen wie: „Deutschland steht auf der Bau-Bremse. Die Branche ist nicht länger bereit zuzusehen. Sie schaltet vom stillen Kopfschütteln auf offenen Protest.“ Worauf ein Zitat von der Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel, namentlich Katharina Metzger folgt: „Der Klima-Aktivismus der Bundesregierung macht den Neubau von Wohnungen zu teuer. Die Latte fürs Energiesparen liegt beim Neubau viel zu hoch. Grünes Wunschdenken würgt den Bau neuer Wohnungen ab. Für die Ampel ist das politisch heikel. Und für die Menschen, die dringend eine bezahlbare Wohnung brauchen, ist das fatal.“

Ist es das, „fatal“? Ist es nicht eher fatal, oder – bleiben wir lieber mal sachlich – kurzsichtig, zu argumentieren, „wirklich effektiv seien nur Energiesparsanierungen von Altbauten. Und selbst da dürfe der Staat nicht überziehen“. Warum wurde denn das aktuell gültige Gebäudeenergiegesetz (siehe dazu: Baulinks-Information GEG) so formuliert, wie es die Groko im Bundestag und der Bundesrat im Sommer 2020 beschlossen und gebilligt haben? Muss man einen Fachverband aus der Baubranche daran erinnern, dass dem GEG eine EU-Gebäude- (EPDB) und EU-Energieeffizienzrichtlinie (EED) vorausging, wonach ab 2019 alle neuen Nichtwohngebäude der öffentlichen Hand und ab 2021 alle neuen Gebäude den Niedrigstenergiestandard erfüllen müssen? All das inspiriert vom Kyoto-Protokoll, um die darin verbindlich festgelegten Emissionsreduktionsziele zu erfüllen? War das eine Straftat, für die es nun eine Amnestie braucht, um die Baubranche, am Ende sogar die in Deutschland von Klimaschutzauflagen bedrohten Menschen zu retten, weil deswegen nicht genug Wohnungen gebaut werden? Und war es nicht der Gebäudesektor, der trotz GEG seine Klimaziele 2020 prompt verfehlt hat und seitdem jedes Jahr knapp an der Verfehlungsgrenze herumschrammelt?

Wollen wir also nun die energetischen Standards im Wohnungsbau herabsetzen, damit der Wohnungsbau wieder Fahrt aufnimmt, und stattdessen dann für Emissionsberechtigungen blechen? Und neue Häuser und Wohnungen bauen, die der Klimaneutralität 2045 zuwiderlaufen? Das alles scheint die BDB-Präsidentin nicht zu interessieren, die der Auffassung ist, die Bundesregierung müsse pragmatisch handeln und „aufhören, an der Illusion der Machbarkeit von ‚Super-Klimaschutzhäusern‘ zu kleben“. Stattdessen müsse die Bundesregierung auf den Boden der Realität zurückgeholt werden. Es reiche „beim Neubau der Effizienzhaus-Standard 70 und bei der Sanierung das Effizienzhaus 115. Schließlich seien auch die Kapazitäten für mehr Klimaschutz beim Bauen begrenzt: Fachunternehmen genauso wie Fördermittel.“ Das alles passt gut zur aufgeheizten Stimmung in unserem Land, in dem nur noch gut ein Viertel der Bürger glaubt, dass Regierung und öffentlicher Dienst den Herausforderungen gewachsen sind. Wäre es da nicht ratsamer, sachlich zu bleiben und konstruktiv zu denken und zu handeln? Panischer Aktionismus á la BDB wird das Vertrauen sicher nicht retten.

Dem kann man nur entgegensetzen: Klimaschutz ist einfach nicht verhandelbar, und vielleicht bräuchte der BDB oder namentlich Frau Metzger ja dann im Jahr 2045 einen Antrag auf Amnestie, weil sie mit ihren kurzsichtigen Forderungen im Jahr 2023, dazu mit unrichtigen Argumenten, fahrlässig die Klimaschutzziele torpediert haben. Welchen Anteil der Gebäudesektor und das aktuell heiß diskutierte „Heizungsgesetz“ bis 2045 genau oder tatsächlich haben, den CO2-Ausstoß in Grenzen zu halten, ist heute nicht konkret vorhersagbar, aber es ist gewiss: Aktuell verursacht der Gebäudesektor rund 40% der gesamten jährlichen CO2-Emissionen in unserem Land. Und dann hinzustellen, und die derzeitige und dringend nötige Klimaschutzpolitik der Ampel als „überzogen“ und „Utopie einer grünen Wolke zum Wohnen“ zu diskreditieren, bedarf schon einer gewissen Chuzpe.

Laut Pressemeldung des BDB sei für die Wohnungsbau-Rezession „ein toxischer Mix aus hohen Zinsen, hohen staatlichen Hürden durch Auflagen und Vorschriften und hohen Baukosten“ verantwortlich, und der Verband sieht in den Klimaschutzauflagen einen ganz wesentlichen Preistreiber für das Bauen und Wohnen. Kein Wort zur Bodenspekulation, zum Fachkräftemangel und den das Baubudget entlastenden Förderkonditionen. Einer 2018 erstellten Studie (Download-Link) des Instituts für Technische Gebäudeausrüstung Dresden (iTG) zufolge verteuerten die Anforderungen der EnEV einschließlich der Anhebung 2016 die Gestehungskosten eines Mehrfamilienhauses nur um etwa 3%. Zudem zeige die Baupraxis, „dass über die EnEV 2016 hinausgehende energetische Standards unkompliziert und mit marktüblichen Technologien problemlos erreichbar sind. Zum Teil werden dabei für hocheffiziente Gebäude geringere Kosten realisiert, als bei Einhaltung der EnEV-Mindestanforderungen. Offensichtlich lassen sich bei Wahl geeigneter baulicher und anlagentechnischer Konzepte und Nutzung der verfügbaren Fördermittel auch deutlich über die EnEV 2016 hinausgehende energetische Standards mit geringen oder sogar ohne spürbare Mehrkosten realisieren.“ Nicht mit eingerechnet sind dabei begünstigende Fördergelder – wer energieeffizient baut, wird belohnt.

Noch ein abschließender Hinweis obendrauf: Eine ungedämmte Außenwand verliert über 20 Jahre umgerechnet 158 Liter Heizöl pro Quadratmeter. Ist sie dagegen gut gedämmt, reduziert sich der Energieverlust auf 20 Liter Heizöl, während für die Herstellung der Dämmung rund 12 Liter Heizöl zu veranschlagen sind. Somit hat sich die Herstellungsenergie für den Dämmstoff bereits nach 1,7 Jahren energetisch amortisiert (Quelle: Umweltbundesamt, Fraunhofer IEG, Fraunhofer ISI, Download-Link: Infografik Wärmedämmung). Wir sollten also besser die Häuser heizen, nicht das Klima. Energetische Sanierungen auf möglichst hohem Niveau sind daher ebenso unabdingbar wie der Bau von möglichst energieeffizienten Häusern, um die Betriebskosten für Bewohner gleichermaßen in Grenzen zu halten wie die CO2-Emissionen. Deutschland steht keineswegs auf der Bau-Bremse, sondern hat wie jedes andere europäische Land mit Widrigkeiten zu kämpfen, die andernorts schneller, besser und zukunftsgerichteter gelöst werden. Deutschland belegt im Klimaschutzindex 2023 Rang 16, ist zuletzt um drei Plätze abgerutscht. Noch Fragen, Kienzle … pardon: Frau Metzger?

Ihre Claudia Siegele
  

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